Pilger auf Zwischenstation in Schlutup
Ein Seminar im „Zentrum Gewaltfreie Kommunikation Thüringen e.V“ inspirierte Anja Palitzer zusammen mit Ihrem
Bekannten Olaf Hartke zu einer 1400 km langen Wanderung entlang der Zonengrenze vom bayrischen Oberzech bis zum
Priwall. Der Weg am ehemaligen Todesstreifen sollte zu mehr Kommunikation zwischen Ost und West inspirieren, da die
ehemalige Grenze immer noch in den Köpfen zu sehr verwurzelt ist. Viele Menschen sind auf dem Wege auch ein Stück
mitgewandert. Übernachtet wurde jeweils in einem anderen Ort im Gemeindehaus oder der Kirche. Am 6.Sptember, kurz
vor dem Erreichen des Zieles haben die Beiden, in Begleitung von anderen Mitwanderern, im Gemeindehaus Schlutups
übernachtet. Ernst-Otto Reimann hatte die Pilger in Palingen aufgenommen und durch die urwüchsige Natur des
ehemaligen Grenzgebietes nach Schlutup geführt. Hier wurden sie dann ganz herzlich von Pastor Schäfer der St.Andreas
Kirche in Schlutup empfangen. Da motorisierte Fahrzeuge wie der Tunnelbus ausscheiden, hätte der Fußweg von Schlutup
nach Travemünde einen erheblichen Umweg bedeutet. Am nächsten Morgen hat Pastor Schäfer deshalb die Pilger mit
einem Segelboot nach Herrenwyk übergesetzt.
Nachfolgend der Bericht über die Wanderung von Palingen nach Schlutup von Ernst-Otto Reimann
Begegnung mit Pilgern, eine Wanderung von Palingen nach Schlutup mit Grenzerfahrungen.
In unserem Gemeindeblatt Sept., Okt., Nov. war die Ankunft der Pilger bereits angekündigt. Zwischendurch wurde ich dann von
Frau Schatz noch mal erinnert. „Grenzwanderung“ habe ich mir zum Thema gemacht und auch schon einmal mit einer Gruppe
von Schlutupern praktiziert. Dabei geht es nicht nur um die deutsch-deutsche
Grenze, sondern auch um die seit dem Mittelalter bestehende Grenze zu Mecklenburg. Auch die Zeit der Slawenbesiedlung
bleibt nicht unerwähnt.
Überraschend hatte ich dann am Ankunftstag, dem 6. September, Kontakt per E-mail und Telefon mit Pastor Schäfer mit dem
Ergebnis: Die Pilger sind in Palingen und es wäre schön sie von dort nach Schlutup zu begleiten. „ Wo befinden sich denn die
Pilger in Palingen?“, frage ich Pastor Schäfer. „ Bei einer Frau Geyer, Kindergärtnerin von Beruf, Wohnung bzw. Haus unbekannt,
schauen sie nach ortsfremden Autokennzeichen“, war die Information. Es blieb mir nicht viel Zeit. Es war 14:00 Uhr und 15:00 Uhr
wollen die Pilger von dort aufbrechen. Also aufs Fahrrad und los. Speckmoorstraße, dann über die Umgehungsstraße, Waldweg
„Große Schießbahn“ Richtung Eichholz. Dort, wo der „Soldatenweg“ von rechts einmündet geht’s links weiter über die Holzbrücke
zur Palinger Heide. Ein überwiegend von Reitern benutzter Weg führt direkt nach Palingen. Ich komme ins Schwitzen. So ein
schlechter Weg! Ideal für Reiter. Nichts für Fahrradfahrer. Warum dieser Weg? Na ja, ich kenne ihn!
Kurz vor Palingen kommt ein großer Sandplatz. Mehrere Wege
zweigen in verschiedene Richtungen. Ich nehme einen, von dem
ich annehme, dass er in den Ort führt. Ein älterer Herr mit Geh-
wagen begegnet mir. „Wissen sie, wo eine Frau Geyer wohnt“,
frage ich und merke gleichzeitig, dass dieser Weg nicht in den Ort
führt. Er weiß es nicht. So viele „Neue“ sind nach Palingen zu-
gezogen. Umkehren und den Weg in den Ort nehmen. Eine junge
Frau begegnet mir. Sie antwortet auf meine Frage: „ Bin gerade
hierhergezogen und kenne nur wenige Leute“. Weiter geht‘s in den
Ort. Ich erreiche das alte Palingen mit den schönen großen Bauern-
häusern, heute umgebaut mit vielen Wohnungen darin, ein alter-
natives Wohnprojekt. In einem ist auch ein Café. Davor stehen
Autos mit fremden Kennzeichen. Aber „NF“- Nordfriesland (oder
war es Fl für Flensburg?) auf einem der Autos, das kommt mir
komisch vor. Egal, hinein in das Café. Es ist 15:00 Uhr. Die Leute
im Café wissen sofort: “Das ist der Abgesandte aus Schlutup“! Mir
ist das auch gleich klar. Keine Fragen mehr, sondern herzliche
Umarmung. Für einen Kaffee reicht die Zeit noch. Ute ist aus Nord-
friesland. Ich gestehe, dass ich in Dithmarschen aufgewachsen bin.
Wir lachen beide. „Ja, ja Dithmarscher und Nordfriesen“, meint sie. „Das ist über 500 Jahre her“ sage ich, “ aber heute gibt es das
da doch keine Gegensätze mehr?“ Gewaltfreie Kommunikation“ ist das Thema von Anja. Sie macht Workshops und hält Vorträge
zu diesem Thema. „Die Grenze Zwischen Ost und West steckt immer noch in den Köpfen der Menschen“, sagt sie. Das lese ich
später im Artikel der LN. Ist das bei den Dithmarschern und Nordfriesen manchmal auch noch so?
Auf geht’s nach Schlutup. Mein Fahrrad schiebe ich nebenher. Als
wir den Sandplatz mit den vielen Wegeinmündungen erreichen,
bin ich wieder etwas iritiert. Welchen Weg bin ich gekommen?
„Das könnte er sein“, denke ich und bin mir erst sicher, als wir
schon ein Stück des Weges gegangen sind. Zu Fuß ist der
Reitweg weniger dramatisch, nur dabei noch das Fahrrad
schieben ist etwas ungünstig. Harald läuft neben mir und erzählt
mir aus seinem bewegten Leben. Er hat sich der Kirchenmusik
verschrieben, komponiert auch. Es geht durch Kiefernwald, über
Sandflächen, an wenigen Stellen auch mit rosa Heide besetzt,
fast schnurgerade in westliche Richtung. Erste Begegnung mit
Zeichen der ehemaligen deutsch/deutschen Grenze ist der
Kolonnenweg. Das ist auch das einzige was geblieben ist. Von
Drahtzäunen, Wachtürmen, Schildern, Grenzpfosten, Kfz-
Sperrgraben, Schutzstreifen ist in dem Bereich zwischen Eichholz
und Schlutup nicht der kleinste Rest geblieben. Doch an dieser
Stelle des Kolonnenweges, den wir kreuzen liegt ein Findling mit
einer Inschrift : “Siegfried Apportin 30.11.1930 – 2.7.1950“. Er
wurde von einem Kameraden erschossen, weil er nicht mit ihm
über die damals noch grüne Grenze in den Westen flüchten wollte. Hier verweilen wir einige Zeit, sprechen ein wenig über die
Grenzbefestigungen, die Übergänge Eichholz und Schlutup der Situation der Menschen während der DDR-Zeit. Die Zeit drängt,wir
müssen weiter, erreichen die „Schwedenschanzen“, Teil der Lübecker Landwehr, die 1303 errichtet wurde, einer aus Wällen und
Gräben bestehenden Befestigungsanlage, heute ein beschaulicher Ort zum Verweilen. Der lichte sonnendurchflutete Buchenwald,
eine Bank zum Ausruhen, etwas trinken, plaudern, Fotos machen -eine Erholungspause- die Zeit lassen wir uns nicht nehmen.
Der weitere Weg führt über die große Schießbahn Richtung
Schlutuper Tannen. Hier begleitet mich Barbara, die Pastorin. Wir
sprechen über die Kirchengemeinde Schlutup. Wir haben gerade
einen Pastorenwechsel erlebt. Wie kam es zu der Uneinigkeit
zwischen Pastorin und einem Teil der Gemeinde. Gegensätze
überwinden, aufeinander zugehen, kompromissbereit sein,
Gesprächsbereitschaft zeigen scheint auch unter Mitgliedern der
Kirchen nicht einfach zu sein.
Wir erreichen „Schlutuper Tannen“, die ehemalige Kantine der
Waffen und Munitionsfabriken. Die besondere Situation Schlutups
während der Hitlerdiktatur 1933 bis 1945 darf nicht unerwähnt
bleiben: die Waffen und Munitionsfabrik nimmt große Gebiete rund
um Schlutup ein, Wesloer Straße gesperrt, Schießübungen zur
Erprobung von Waffen und Munition, das Leid der dort ein-
gesetzten Kriegsgefangenen usw.. Über den Palinger Weg
gelangen wir zum Schwarzmühlenhof mit Schwarzmühlenteich.
Auch hier ist ein historischer Grenzpunkt. Früher war hier ein
Grenzkrug und Schlagbaumdienst. Diesen kürzeren Weg nach
Mecklenburg benutzte die Post Thurn und Taxis.
An dieser Stelle fließt der Landgraben Richtung Mühlenteich und weicht damit von dem weiteren Grenzverlauf ab. Über
Bardowieker Weg, Techower Weg und Lüdersdorfer Weg gelangen wir zur Straße An der Landesgrenze. Dort zeige ich den
Pilgern die alten Grenzsteine, ehemals 15, heute nur noch 5, 1779
gesetzt, auf der einen Seite steht LÜ auf der anderen Seite ST.
Ich habe schon seit einiger Zeit gemerkt, dass die Pilger erschöpft
sind, vor allem Barbara die Pastorin. Von unserem Standort „An der
Landesgrenze“ gelangt man nicht so einfach in gerader Linie zur
Grenzdokumentationstätte an der Mecklenburger Straße, unserem
Ziel. Privatgrundstück - kein Durchgang, also Ausweichen in das
Naturgebiet. „Da, wo die Leute immer mit ihren Hunden laufen“, sagt
uns eine Anwohnerin. Ich kenne das, denn ich laufe dort oft selbst mit
meinem Hund. Kurz vor dem Grenzmuseum wird noch der Slut-up
Stein bewundert. Um 17:00 Uhr wurden wir erwartet, es war 18:00
Uhr geworden. Später höre ich von Pastor Schäfer, jemand hätte die
Bemerkung gemacht: “Jeden hätten Sie nehmen können, um die
Pilger abzuholen, nur den Reimann nicht“. Am Grenzmuseum ist es
dann eine fröhliche Runde mit Kaffee und Kuchen. Ich verabschiede
mich, denn heute Abend ist Probe des Gospelchors. In unserem
Probenraum „Am Müllerberg“ liegt in der Mitte ein abgelaufener
Turnschuh - Ein Zeichen! Wir treffen uns mit den Pilgern zur Andacht
in der Kirche. Ein Imbiss wird gereicht, unser Chor singt zwei Lieder,
später übernimmt Harald, der Kirchenmusiker. Verschiedene Lieder aus seinem Repertoir werden im Wechsel gesungen. Das Gebet
mit Pastor Schäfer und seine Lesung aus dem Alten Testament : 1. Buch der Könige, Kapitel 19 runden das Bild ab.
„Steh auf und iss, denn der Weg, der vor Dir liegt, ist weit“. Diesen
Befehl seines Gottes befolgt Elia, der Prophet. Auch die Pilger haben
einen weiten Weg. Im Verlaufe der Andacht liest Pastor Schäfer den
ganzen Text des Kapitels 19. Es ist schwierig zu verstehen, warum
Gott Gewalt zulässt, damit das Volk Israel seine Gesetze befolgt.
Spät ist es geworden. Ich habe an diesem Tag viel Zeit mit den
Pilgern verbracht.
Inzwischen gab es einen Zeitungsbericht in der LN und auch die
Internetseite der Pilger wurde aktualisiert. Unsere Wanderung kommt
aber darin leider nicht vor..
Ernst-Otto Reimann